Dienstag, 14. August 2012

Psychoanalyse

Machen wir heute mal ein wenig Literatur- und Sozialwissenschaft. Kann ja nicht so schwer sein.
Es ist einer der gewöhnlichsten und verbreitetsten Aberglauben, dass jeder Mensch nur ihm eine zugehörige, bestimmte Eigenschaft habe, dass ein Mensch gut, böse, klug, dumm, energisch, apathisch und so weiter sei. Die Menschen pflegen nicht so zu sein. Wir können von einem Menschen sagen, dass er öfter gut als schlecht, öfter klug als dumm, öfter energisch als apathisch und umgekehrt sei, aber es ist nicht wahr, wenn wir von einem Menschen sagen, dass er gut oder klug und von einem anderen, dass er böse oder dumm sei. Wir aber teilen die Menschen immer so ein. Und das ist nicht richtig. Die Menschen sind wie Flüsse.: Das Wasser ist überall gleich, überall das selbe, aber jeder Fluss ist bald schmal, bald rasch, bald breit, bald still. bald rein, bald kalt, bald trüb, bald warm. Eben so auch die Menschen. Jeder Mensch trägt in sich die Keime aller menschlichen Eigenschaften und manchmal offenbart er die einen, manchmal die anderen und ist oft sich selber ganz und gar nicht ähnlich, während er doch immer dasselbe Selbst bleibt

Was will uns der Autor (Tolstoi) hier mit diesem so diffus und kryptisch anmutenden Text sagen? Übersetzen wir das Ganze doch einmal in eine klar strukturierte und leichter zu verstehende, mathematische Sprache. Ich spoiler direkt mal: es geht ihm hier um Logik. Genau genommen, den Unterschied zwischen Aussagen- und Prädikatenlogik und deren Anwendung auf die Sozialwissenschaft.

Als Axiome der Aussagenlogik kann man folgende Punkte ansehen:
Jede Aussage hat einen von genau zwei Wahrheitswerten, meist „falsch“ oder „wahr“

Der Wahrheitswert jeder zusammengesetzten Aussage ist eindeutig durch die Wahrheitswerte ihrer Teilaussagen bestimmt

Insbesondere wird hier also festgehalten, dass Aussagen immer entweder wahr oder falsch sind. Das wäre im übertragenen Sinne unser Bild des Mitmenschen, den wir wieder einmal ohne Beschränkung der Allgemeinheit Batman nennen werden. Zu jeder Aussage gehört eine Eigenschaft. "Batman ist klug" wäre also eine solche Aussage, die entweder wahr oder falsch ist. Vorsicht: in unserem Modell heißt das nicht, dass Batman wirklich in Gefahr gerät, den Nobelpreis zu gewinnen. Es bedeutet nur, dass der Betrachter ihn für ganz fit in der Birne hält. "Batman ist doof" wäre das Komplement zur vorherigen Aussage und hat dementsprechend den umgekehrten Wahrheitswert (unter der Voraussetzung, dass die Urbilder von "klug" und "doof" eine Partition der Menschheit darstellen). Aber jetzt kann Batman vielleicht an einem guten Tag jedes Sudoku schneller als Flash lösen, aber wenn er einen schlechten Tag erwischt, kommt er vielleicht überhaupt nicht auf die Lösung.

Das Modell ist also nicht ausreichend. Aber der Mathematiker hat vorgesorgt: es gibt schließlich noch die Prädikatenlogik. Hier sind Aussagen Funktionen, die von einer Belegung abhängen. Die Belegung ist eine Menge von Argumenten, die man in eine solche "Aussagenfunktion" einsetzten kann.

Sei diese Menge in unserem Fall {"guten";"schlechten"}. Die Aussage lässt sich dann formulieren zu

Klug(x) := An einem x Tag ist Batman klug

Und nun wissen wir ja schon, dass Klug(guten) wahr ist, wohingegen Klug(schlechten) falsch ist. Nun können wir die Realität also ausreichend abbilden.

Zurück zur Deutung und damit zur Sozialwissenschaft: das macht es unglaublich schwierig, Menschen einzuschätzen. Je größer die Menge der möglichen Belegungen ist, desto mehr Beobachtungen sind nötig, um die Wahrheitswerte herauszufinden. Erschwerend kommt hinzu, dass wir die Mächtigkeit dieser Menge nicht zwangsläufig kennen, da immer wieder unvorhergesehene Dinge passieren, die Menschen anders reagieren lassen, als es irgendjemand, geschweige denn sie selbst, jemals vorhergesehen hätten. Und Menschen verändern sich. Das ist schlecht. Man müsste also auf einer weiteren Abstaktionsstufe arbeiten. Die Aussagefunktionen als solche hängen von einer weiteren Variablen, etwa der Zeit ab. Ich weiß nicht, ob es schon eine Theorie dazu gibt, aber selbst wenn, bräuchte man spätestens dann eine exponentiell wachsende Anzahl von Beobachtungen, um Menschen zu analysieren.

Damit sind wir nun wieder bei meiner Lieblingsdisziplin angekommen: der Stochastik. Was wir nicht beobachten können, muss als zufällig angesehen werden. Eigentlich sind Menschen damit wandelnde Zufallsvariablen. Das wiederum erklärt sehr gut, warum auf unserem Planeten Dinge passieren, die eigentlich nicht passieren sollten. Wahnsinn, was sich Tolstoi beim Verfassen des Textes für Gedanken gemacht hat.

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