Sonntag, 4. November 2012

That's Life

Lange her seit dem letzten Post. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Ich habe ja auf den Marathon trainiert. Dummerweise musste ich wenige Wochen vor dem Wettkampf die Erfahrung machen, dass nicht alle Orthopädiegeschäfte das Geld wert sind, das sie für speziell angefertigte Einlagen verlangen. Fazit: Überlastungsverletzung an der Sehne nach dem 30-km-Vorbereitungslauf. Aber that's Life. Das Leben geht weiter und entsprechend stehe ich wieder -und dieses Mal besser ausgestattet- mitten im Training.

Heute war also den ganzen Tag schönes Wetter, eine vermeintlich stabile Föhnlage, die ich schön durchs Fenster beobachten konnte, während ich mich mit messbaren Abbildungen herumgeschlagen habe. Aber ich wollte heute trotz aufkeimendem Muskelkater vom gestrigen Ausgleichstraining laufen gehen. Also nach Sonnenuntergang Mathezeug beiseite legen, noch eine Runde Slender zur Einstimmung spielen und dann raus in den Wald. Und eine Entscheidung an dieser Stelle sollte mir später noch zum Verhängnis werden: ich bin ja inzwischen durchaus fortgeschritten beim Laufen, und da spürt man jeden Ballast, den man mitnimmt. Ich habe also die folgenschwere Entscheidung getroffen, mein Handy wegzurationalisieren und nur den Lightweight-mp3-Player mitzunehmen. Aber mehr dazu später.

Ich bin jetzt also raus, erst mal eine kurze Runde eingelaufen und dann in die Wälder. In diesem Moment dachte ich mir noch, dass Slender echt wenig beeindruckend ist und er es nichteinmal mit den Matschlöchern im Weg aufnehmen könnte, die mir deutlich mehr Respekt eingeflößt haben. So gings dann eine Weile dahin, bis der mir "bekannte" Weg zwischenzeitlich nur noch den Charakter eines Wildwechsels hatte und plötzlich ganz am Ende war. Aber ich dachte ja, ich kenne mich aus. Also etwa die Richtung angepeilt und quer durch den Wald. Irgendwann würde schon wieder ein Weg kommen. Der kam auch, endete aber wieder im Dickicht. An dieser Stelle wurde mir klar, dass da etwas ganz und gar nicht nach Plan läuft. Jeder Weg, den ich ausprobiert habe, selbst der quer über eine Lichtung in Richtung der Lichter einer Ortschaft, hat entweder an undurchdringlichen Böschungen geendet oder im Kreis geführt. An einer Stelle bin ich dreimal vorbei gekommen, jedes Mal aus unterschiedlichen Richtungen.

Und wie bereits erwähnt: das Handy mit der rettenden GPS-Funktion lag zuhause. So verfranst hatte ich mich seit meiner läuferischen Anfangszeit nicht mehr. Aber im Gegensatz zu damals hatte ich zwei Asse im Ärmel, von denen ich gar nicht weiß, welches bedeutender ist: zum Einen wusste ich: egal wie lang es dauert, zurück nach Hause zu finden, die Kondition wird reichen. Und zum Zweiten besitze ich inzwischen Sportunterhosen, die alles fest am Körper und entsprechend warm halten. Das mag jetzt vielleicht lustig klingen, aber es ist echt unangenehm, partiell zum Eiszapfen zu mutieren. Es bestand also zwar Grund zu erhöhter Beunruhigung, aber keiner zur Panik. So gings dann noch längere Zeit weiter, das Beste was meinem mp3-Player einfiel, waren Lieder mit Texten wie "I've never felt so alone in my life", "This is the day that I die" und "Valhall awaits me when I'm dead". Letzteres war immerhin etwas positiv. Das Universum hatte nun auch noch eine tolle Idee: wir hatten ja vorher schon über die Föhnlage tagsüber gesprochen - die ist leider zusammengebrochen. Es ist also eine Kaltfront mit Wucht und Regen über mich hereingebrochen.

Aber dann Hoffnung. Ich konnte aus der Entfernung einen Wegweiser für Wanderer reflektieren sehen. Bei näherer Betrachtung gab es nun eine gute und eine schlechte Nachricht. Eisenhofen war mit 3 km Entfernung angeschrieben - aber genau in der Richtung, aus der ich kam. Aber zurück auf den Weg, auf dem ich so lange herum geirrt war? Und an dieser Stelle muss man außerdem wissen, dass es für einen Trailläufer kaum eine größere Schmach gibt, als einen Weg, auf dem man gekommen ist, direkt wieder zurücklaufen zu müssen. Ich habe mich also für Hirtlbach entschieden, von wo aus ich den Weg auch finden würde. Aber schon auf halbem Weg war ich wieder zurück in bekannten Gefilden. Und nun die zweite fatale Entscheidung dieses Abends: so voller Adrenalin wollte ich eigentlich nicht direkt nach Hause laufen, weil ich direkt am Ende meiner bekannten Runde herausgekommen war. Also die Runde in umgekehrter Richtung nochmal. Nun muss man wissen, dass eine Laufrunde in umgekehrter Richtung komplett anders ausschaut. Und im Dunklen erst recht.

Die ersten drei kritischen Abzweigungen hatte ich noch richtig gemeistert, aber an der vierten muss ich mich wohl falsch entschieden haben. Weil plötzlich sah nichts mehr bekannt aus. Und irgendwie hatte es genau in dem Moment der Einsicht auch noch eine Brennessel geschafft, irgendwie am Socken vorbei unter meine Hose zu gelangen und ihr teuflisches Werk zu vollbringen. Da stand ich also wieder im Nirgendwo, psychisch gebrochen, nachdem ich einen vermeintlichen Erfolg im Orientierunglauf leichtfertig weggeworfen hatte und potenziell tödlich verwundet von dieser Pflanze der Nacht. Regen und Wind haben auf mich eingepeitscht, und ich habe mir die Frage gestellt, warum ich das eigentlich tue. Und ich konnte sie auch direkt beantworten: weil es mir Spaß macht.

Die Menschen hängen immer so an ihrem Leben. Aber was macht das Leben denn aus? Eindrücke. Und nur die wenigsten sind klar positiv. Viele sind von der Bedeutung neutral und viele auch negativ. That's Life. Wenn man sich lebendig fühlen will, muss man Eindrücke sammeln. Und das geht nirgends besser als in der Natur. Und außerdem war es ein echt tolles Gefühl, völlig ausgepowert die Lichter der Staatsstraße und den sicheren Heimweg zu erspähen.