Donnerstag, 13. Februar 2014

Ideologischer Mais

Bis vor wenigen Tagen war ich noch entschlossener Genfood-Gegner. Jetzt, nach reiflicher Überprüfung der Fakten, bin ich entschlossener Genfoood-Unentschlossener. Wie kams dazu?

Ich habe in einem Kommentar bezüglich der Entscheidung der Europäischen Kommission den Vorwurf gelesen, jegliche Entscheidung, die sich nicht an Fakten, sondern an den Ängsten der Bevölkerung orientiert, sei reine Ideologie. Soso. Was ist damit gemeint? Dazu gleich mehr. Zunächst ein kurzer Exkurs über Vor- und Nachteile des aktuell in der Zulassung befindlichen Genmais.

Positiv sind zu bewerten, dass durch den Einsatz deutlich weniger Pestizide verwendet werden müssen, da der Mais diese selbst produziert und dadurch viel zielgerichteter einsetzt. Ein Biobauer, der bereits Genmais anbaut(e), meinte, das Genmaisfeld sei von (guten) Insekten geradezu überlaufen im Gegensatz zum pestizidbelasteten konventionellen Feld. Durch die Immunität gegen Schädlinge könnte der Ertrag stark erhöht werden. Und letztendlich passiert in der Gentechnik nichts anderes als durch Mutationen in der Natur an sich und auch in der konventionellen Zucht.

Andererseits gibt es zum einen noch viele unverstandene Effekte im Genom. Es gibt nicht das eine "Resistenzgen", das da ist oder nicht. Es gibt aktive Gene, inaktive Gene und viele Kreuzeffekte, an denen mehrere Gene beteiligt sind. Man kann also kaum ausschließen, dass man mehr hineinzüchtet, als man eigentlich haben wollte. Des Weiteren ist der Genmais, einmal in der Welt, kaum wieder herauszubekommen, Stichwort Pollenflug.

Die Entscheidungstheorie lehrt nun vereinfacht gesagt, dass man allen möglichen Zuständen numerische Werte zuweist, die Nutzen und Gefahren messbar machen. Dann rechnet man die Wahrscheinlichkeit für das eintreten unter den verschiedenen Szenarien mit ein und kommt zu einer rationalen Entscheidung.

Aber wer sagt, dass man dem Mais nicht ausversehen eine Genkombination verpasst hat, die ihm bei Mondlicht Beine wachsen lässt und zum blutsaugenden Monstermais macht? Freilich ist das unwahrscheinlich. Aber falls das eintritt, wäre das schon eher unerfreulich. Klar ist das ein stark überzogenes Beispiel, aber es macht das Problem sehr deutlich: wie gewichtet man Risiken, die zwar höchstwahrscheinlich nicht eintreten, aber wenn sie es doch tun, verheerenden Schaden anrichten?

Daher kommen die Ängste in der Bevölkerung. Gepaart mit dem tiefen Misstrauen in die Politik von Brüssel, den Lobbyismus, die Pharma- und Lebensmittelbranche und die diffuse Angst vor Veränderung. Das sind teilweise durchaus sehr rationale Bedenken, auch wenn sie vordergründig konkret mit dem betreffenden Mais 1507 wenig zu tun haben. Ist es nun ideologische Politik, dem Wählerwillen zu entsprechen und den Anbau zu verbieten?

Hier wird das Versagen der Politik deutlich. Auf der einen Seite die Fehlkonstruktion der EU: ein demokratisch legitimiertes Parlament, das in diesem Fall den Wählerwillen durchsetzten will. Und auf der anderen Seite die sogenannte "Elite", die Regierungschefs, die mit "umgekehrter qualifizierter Mehrheit" [sic], die de facto eine Minderheit von 17:4 ist, den Anbau beschließen. Lobbyistenverbände der beteiligten Unternehmen natürlich sind hocherfreut.

Was wäre bessere Politik?

Wenn die Entscheidung pro Genmais wirklich so rational ist (was durchaus sein mag, ich maße mir inzwischen kein Urteil mehr zu), dann hat sich ein Politiker der Presse zu stellen und der Bevölkerung Vor- und Nachteile zu erklären, um Vorurteile und Ängste abzubauen anstatt über die Köpfe hinweg zu entscheiden.

Und wenn die Bevölkerung nicht auf rationale Argumente reagiert?

Diese Möglichkeit besteht, ist gar nicht so unwahrscheinlich und bei ihrem Eintreten höchst bedauerlich. ABER: Die Politiker sind Volksvertreter und nicht Volkserziehungsberechtigte. Wenn die Angst (die durch entsprechende Gewichtung der Entscheidungsfunktion durchaus rationalisiert werden kann) zu groß ist, hat sich der Politiker nach dem Souverän, dem Volk, zu richten. Jede politische Gemeinschaft sollte über ihre Sache selbst entscheiden können. Nicht irgendwelche Eliten oder Lobby- und Industrieverbände.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen